Zusammenfassung
Die Latenz zwischen Manifestation und Diagnose einer primären Dystonie beträgt durchschnittlich
mehrere Jahre. Die Diagnose einer primären Dystonie wird durch die Seltenheit der
Erkrankung, die Variabilität der klinischen Symptome, die in der Praxis wenig hilfreichen
Diagnosekriterien und die Überlappung mit anderen Bewegungsstörungen erschwert. Dieser
Artikel gibt einen Überblick über klinische Phänotypen, Pathophysiologie und Therapien
primärer Dystonien. Er soll dem Einsteiger und nicht auf Bewegungsstörungen spezialisierten
Neurologen Hilfestellungen für den klinischen Alltag geben, um Dystonien frühzeitig
zu erkennen und einer Therapie zuzuführen.
Der Artikel stellt die 2013 revidierten Diagnosekriterien und die wichtigsten primären
Dystonien vor. Pathophysiologisch sind Dystonien durch eine Disinhibition und maladaptive
Plastizität in sensomotorischen Hirnnetzwerken charakterisiert. Es ist wichtig, die
Dystonie klinisch von anderen Bewegungsstörungen zu differenzieren. Insbesondere eine
asymmetrische dystone Haltung der Arme kann ein Frühsymptom einer beginnenden Parkinson-Erkrankung
darstellen.
Dystonie-Patienten leiden häufig an funktionellen Defiziten, Schmerzen und einer sozialen
Stigmatisierung, die zu einer Abnahme der Lebensqualität führen. Therapie der Wahl
sind bei fokalen Formen lokale Injektionen von Botulinumtoxin in die dystonen Muskeln
und bei multisegmentalen, generalisierten oder therapierefraktären Formen eine Tiefenhirnstimulation
des Globus pallidus internus. Beide Therapien führen meist zu einer deutlichen Besserung
der dystonen Symptome, einer Linderung der funktionellen Einschränkungen und einer
Verbesserung der Lebensqualität. Orale Medikamente haben nur einen geringen Effekt
bei ungünstigem Nebenwirkungsprofil und werden nur selten eingesetzt. Begleitend werden
Physiotherapie und muskelentspannende Therapien empfohlen, aber der Nachweis für die
Wirksamkeit dieser Therapien steht noch aus. Bessere Kenntnisse von Neurologen und
Ärzten anderer Fachrichtungen können zu einer früheren Diagnosestellung und effektiveren
Therapie von Dystonie-Patienten führen. Ein intensiveres Interesse der Ärzteschaft
an diesem Krankheitsbild und eine zunehmende Anzahl an Behandlern und Behandlungszentren
können die Versorgung dieser Patienten verbessern.
Abstract
The latency between the onset and the diagnosis of primary dystonia is several years.
The diagnosis of primary dystonia is challenging due to the rarity of the disease,
the variability of clinical symptoms, the abstractness of the MDS diagnostic criteria
and the clinical overlap with other movement disorders. This article provides an overview
on the clinical phenotypes, the pathophysiology and the therapy of primary dystonias.
It is intended to be a valuable source of information for beginners and non-movement
disorders specialists.
This article presents the 2013 revision of the MDS diagnostic criteria for dystonia
and the most relevant clinical phenotypes. Dystonias are pathophysiologically characterized
by disinhibition and maladaptive plasticity in sensorimotor brain networks. It is
necessary to distinguish dystonia from other movement disorders. Asymmetric dystonic
posturing of the arms may in particular be an early symptom of idiopathic Parkinson’s
disease.
Dystonia patients often suffer from functional deficits, pain and social stigma, all
of which reduce their quality of life. The therapy of choice in focal dystonia are
local injections of botulinum dystonic symptoms and improve function and the quality
of life. Oral medications such as anticholinergics are rarely used due to limited
efficacy and significant side effects. Supportive therapies such as physiotherapy
and muscle relaxation are recommended, but are not evidence-based.
Better education of neurologists and other doctors may allow earlier diagnosis and
better therapy of dystonia. A broader interest and an increasing number of treatment
centers will improve the management of patients with dystonia in the future.
Schlüsselwörter
Anticholinergika - Botulinumtoxin - Dystonie - Pathophysiologie - Tiefenhirnstimulation
Key words
Anticholinergics - botulinum toxin - deep brain stimulation - dystonia - pathophysiology